Zerbrochen und geprellt, aber schön

Da sind wir nun wieder an dem Ort, an den uns vor laanger Zeit unsere Hochzeitsreise führte: Tobago. Unsere beiden Kinder sind inzwischen im Studium, d.h. unser erster Besuch auf Tobago liegt etliche Jahre zurück. Die Anreise damals per Flieger war um einiges leichter als jetzt auf eigenen Rümpfen. Aber es ist toll, den Weg bis nach Tobago schrittweise selbst gemacht zu haben.

Nicht alles blieb unbeschädigt auf dem Ritt hierher, der sich stellenweise anfühlte, als sei man ein Stück Wäsche in der Waschmaschine.

Wie so oft ist so etwas nicht per Video fest zu halten. Zum einen, weil man den Seegang auf dem Video nicht wirklich sieht. Zum anderen, weil dann keiner Lust hat, ein nettes Video zu drehen oder – so wie hier – es nachts und damit dunkel ist.

Nicht nur gegen Wind und konfuse Welle geht der Weg nach Tobago, sondern auch ein starker Strom macht das Segeln auf die Insel schwierig. Wir hatten bei der nächtlichen Überfahrt besonders starken Strom. Genauso wie ein anderer Segler, der am selben Tag wie wir einlief: Über 9 Stunden lang hatten wir etwa 2 – 3 kn Strom gegen uns. Einen solchen Strom, vor allem mit solcher Dauer, hatten wir nie zuvor. Zwei Tage später kamen Segler, die deutlich weniger zu kämpfen hatten, dafür aber auch bei leichtem Wind viel langsamer unterwegs waren als wir.

Wie heftig es Invia teils beutelte zeigt ein zerbrochener Teller im Geschirrschrank, den wir bei unserer Ankunft in Tobago fanden. Zwei Jahre hatte er schon unbeschädigt alle Überfahrten mitgemacht. Und mein Versuch eines Toilettenbesuchs endete mit Sternchen vor den Augen und geprellten Rippen. Eine Welle hatte Invia unerwartet heftig bewegt und mich gegen ein Regal geschleudert. Festzuhalten bleibt: Unser Schiff ist robust, auch durch widrige Verhältnisse bringt uns Invia sicher. Und der captain trotzt tapfer Wind, Wellen und Salzduschen. Spaß hat daran keiner von uns beiden, aber wir sind inzwischen ein gut eingespieltes Team.

Unser erster Ankerplatz Charlotteville ist gut geschützt. So ruhig wie hier lagen wir schon lange nicht mehr. Laut sind nur die Vögel und Baumfrösche vom nahen Wald. (Ok, am Freitagabend feiert der ganze Ort, wie überall, aber das gehört dazu.) Direkt vor unserem Liegeplatz können wir schön schnorcheln.

Charlotteville
Charlotteville
Charlotteville Ankerplatz
Ankerplatz Charlotteville
Charlotteville Ankerplatz
Strand von Charlotteville
Blick in den Urwald, am Sandstrand von Charlotteville stehend: Direkt dahinter ist es grün, grün, grün

Ruhig ist es auch im Ort. Nur 500 Einwohner, wenig Tourismus. Zum Teil einfache Lebensverhältnisse, aber auch viele schöne Häuser. Man baut hier anders, als wir das von den anderen Karibikinseln kennen. Genau wie auf den anderen Inseln ist Musik sehr wichtig und vor allem eins: Laut. Lautsprecherboxen werden gleich im Mehrfachpack aufgestellt. Und Weihnachtsschmuck sehe ich an etlichen Orten als Dauerdeko.

Häuser in Charlotteville
Open-Air Küche
Bar mit Lautsprecherparade und Weihnachtsdauerschmuck
Strand von Charlotteville

Simcards können wir hier keine kaufen, erfahren wir. Dafür muss man in den Hauptort der Insel, mehr als 1 Stunde Autofahrt entfernt. Oder man erwirbt für 25 TT, das sind weniger als 4 Euro, eine Mitgliedschaft in der örtlichen Bücherei und bekommt dann deren Wi-Fi Passwort. Verdeckt eingetippt von der Mitarbeiterin, versteht sich, damit man es nicht kostenfrei weitergeben kann.

Bücherei Charlotteville

Aber einklarieren können wir. Und anders als man in vielen Seglerblogs liest, läuft alles sehr entspannt ab. Viele Formulare, ja. Und Wechsel in andere Buchten geht nur mit spezieller Erlaubnis, die taggenau eingeholt werden muss. Die Zuständigkeit ist je nach geographischer Lage der Bucht zwischen Charlotteville und Scarborough aufgeteilt.

Gegenüber dem Office von Costums und Immigration (auf der Rückseite des Healthcare Center im Ort) liegt der örtliche Friedhof. Aufgeteilt nach Zugehörigkeit zur anglikanischen oder zur methodistischen Kirche. Während sich auf dem Friedhof der Methodisten auch Steingräber befinden, wie wir sie auf anderen Inseln sahen, ehren die Mitglieder der anglikanischen Kirche ihre Toten mit einem Metallherz auf dem Grab. Darauf stehen der Name und daneben oft auch der Spitzname. Sunrise and sunset lauten die schönen Umschreibungen für Geburts- und Todestag.

Vorbereitung für die Beerdigung
Erklärung auf dem Friedhof

Als wir den Friedhof morgens erreichen, wird gerade die Beerdigung eines 106-jährigen Mannes vorbereitet, des ältesten Einwohners Tobagos. Auf dem Friedhof befinden sich fast ausschließlich Männer, die in der morgendlichen Hitze bereits eifrig rumhaltige Getränke konsumieren. Lohn für die freiwillige Arbeit Grabausschachten, erfahren wir, bezahlt von der Familie des Verstorbenen. Ausgeschachtet wird normalerweise 6 Fuß tief. Zu Ehren des im Ort anerkannten Verstorbenen schachtet man sein Grab 9 Fuß tief aus und das in der Hitze per Schaufel.

Aushub Grab 9feet
Grab des mit 106 Jahren Verstorbenen

Einige Straßen weiter sind die Frauen eifrig beschäftigt, riesige Mengen an Essen für den Leichenschmaus vorzubereiten. Im Anschluss an den Beerdigungsgottesdienst findet sich gefühlt ein Fünftel des Ortes festlich gekleidet zum Essen und Trinken unter Zelten ein. Extrabusse fahren die Auswärtigen anschließend nach Hause. Zu lesen war die Information über die Extrabusse für alle an der örtlichen Infotafel. Während der Beerdigung ist im Ort vieles geschlossen, man feiert den ganzen Tag zusammen.

Leichenschmaus
Infotafel Charlotteville

Überhaupt scheint viel gemeinschaftlich zu funktionieren. Gefischt wird teils mit großen Netzen, die in der Bucht ausgelegt und gemeinsam vom Strand aus an Land gezogen werden. Reich ist der Fang, Charlotteville liefert den meisten Fisch der Insel. Jeder, der beim Netzholen hilft, erhält kostenlos Fisch. Lustig zu beobachten, wie manch einer versucht, um den Umfang seines Anteils zu feilschen. Der Rest des Fangs wird verkauft und im örtlichen Fischmarkt vorbereitet.

Fischfang mit dem Netz vom Strand aus.
Der Fang wird unter allen Helfern aufgeteilt
Fischer kommen immer mal wieder bei uns vorbei und bieten ihren Fang an. Gefischt wird mit Leinen, die an Bambusruten befestigt sind.

Ein anderes Beispiel der Gemeinschaft sehen wir am Straßenrand. Unter einem Zeltdach schneidet ein jüngerer Mann einer älteren Frau die Haare. Wir erfahren: Heute erhalten alle über 60-jährigen kostenlos einen Haarschnitt. Wer letztlich den Friseur bezahlt, konnten wir nicht erfahren.

Heute ist der Friseur(Coiffeur) gratis für alle über 60

Vielleicht auch eine Tätigkeit im Auftrag des Government. Sehr viele Einwohner von Charlotteville arbeiten für das Government. Auch die Frauen sind großteils berufstätig. Wir sehen auf dem örtlichen Fußballplatz Frauen im Halbkreis um zwei Motorsägen. Ihre Aufgabe: Schulung an der Motorsäge. Sie arbeiten für das Government und sollen diese Geräte auch bedienen können. Während wir zuschauen, schafft das keine der Frauen. Kommentare der umstehenden Männer und Feixen gibt es in Massen.

Frauenschulung Motorsäge

Arbeiten werden oft von einem ganzen Trupp erledigt, auch wenn deutlich weniger Mannschaft reichen würde, effizient ist das hier nicht. Da kann auch schon mal die Arbeit an der Straßenbaustelle ruhen, weil die Arbeiter im Schatten den Geburtstag eines Arbeiters feiern.

Mit dem Minibus, der hier Maxibus heißt, fahren wir nach Scarborough. Der Bus hat mobiles Wifi, das gab es noch nirgends in der Karibik. Und wir sitzen bequem und nicht beengt, unterwegs steigt niemand zu. Der Bus fährt an der Windward Seite, dh der dem Wind zugewandten Seite. Sargassum stinkt zum Himmel. Wir erfahren, dass dies erst in den letzten zwei Jahren zum großen Problem wurde und nun Einheimische quält und Tauchhotels ihre Besucher kostet. Der captain macht von Charlotteville aus einen Tauchgang bei Speyside auf der Windwardseite und kommt ganz begeistert zurück. Draußen außerhalb des Sargassumgürtels war das Wasser beim Drifttauchgang sehr klar.

In Scarborough spricht uns ein Paar an. Der Fischer Nigel kommt aus Charlotteville und ist mit seiner deutschen Frau Doris in die Hauptstadt gefahren. Sie hatten uns am Abend zuvor am Steg in Charlotteville gesehen und wieder erkannt. Gern nehmen wir ihr Angebot an, mit ihnen über die Leewardseite der Insel im Privatauto zurück zu fahren. Diese Inselseite hätten wir sonst nur über eine Tour sehen können. Wunderschön grün, Regenwald, herrliche Buchten mit Sandstrand, kein Sargassum.

Parlatuvier Bay
Parlatuvier Bay
Bloody Bay

Nigel meint beim Einsteigen ins Auto, so wäre das halt in der Karibik, man würde einander helfen. Wir könnten uns revanchieren, wenn wir ihn mal in Deutschland am Straßenrand sähen. Wir verbringen interessante Stunden miteinander. Doris berichtet, wie schwierig es war, die Anerkennung ihrer deutschen Ausbildung als promovierte Pharmazeutin in Tobago zu erreichen. Zum Dank für die tolle Inseltour laden wir beide für den nächsten Tag zum Essen auf die Invia ein. Sie bringen uns Mangos aus des Nachbars Garten mit. Die Sorte Julie soll besonders lecker sein und tatsächlich hatten wir noch nie so gute saftige Mangos. Dank Nigels Cousin, der in Charlotteville einen Obst-und Gemüsestand betreibt, sind wir in Charlotteville aber ohnehin mit Frischem sehr verwöhnt.

Obst-und Gemüsestand

Nigel erzählt uns ua, Charlotteville und die umgebenden Buchten seien sehr sicher, abschließen sei unnötig und bewegen an Land unproblematisch. Anders sei es um Scarborough, wo vor der Armut im eigenen Land geflüchtete Venezuelaner für Unsicherheit sorgten. Irgendwie sind es doch immer die Flüchtlinge, die für Negatives verantwortlich gemacht werden, egal, in welchem Land. Andererseits waren es 8 venezuelanische Fischer, die kürzlich bewaffnet eine Yacht überfallen hatten. Da wir zu wenig wissen, um die Lage selbst einschätzen zu können, bleiben wir vorsichtig.

Im Anschluss an den Besuch käfert es plötzlich auf der Invia. Oh nein, jetzt kurz vor dem Haulout doch noch Kakerlaken an Bord, eventuell in mitgebrachten Taschen an Bord gekommen? Wir metzeln und sprühen giftig um uns rum. Hoffentlich wars das! Ungut die Vorstellung, Invia nach der Zeit an Land in Trinidad insektenverseucht vorzufinden.

Wir fühlen uns wohl in Charlotteville. Das Verlegen in eine andere Bucht haben wir bereits einmal verschoben. Wahrscheinlich geht es aber doch morgen weiter nach Castara, einer Bucht an der Nordküste. Bis dahin reicht unser Permit von Charlotteville. Den Sprung nach Trinidad werden wir nach einem weiteren Buchtenwechsel von der Westküste Tobagos aus machen. Dafür benötigen wir ein neues Permit, für das dann Scarborough zuständig ist. Charlotteville hat uns informiert, wir könnten in der zu Scarborough gehörenden Bucht ohne vorheriges Permit ankern und dann mit dem Bus oder Taxi von der Bucht aus zu den Behörden nach Scarborough fahren. Mal sehen, ob Costums und Immigration dort auch so freundlich sind wie hier in Charlotteville.

Am 21.5. ist der Termin fixiert für den Haulout von Invia in Trinidad. Bei PEAKE, einem der führenden Anbieter für solche Dienste, wird unser Schiff aus dem Wasser gehoben, an Land gestellt und dort mit Ständern und Gurten fixiert.

Wir werden einige Tage vorher nach Trinidad gehen. Viel Arbeit steht an. Alles an Bord muss von Salz befreit und getrocknet werden. Salz zieht Feuchtigkeit an und wir wollen unser Heim nicht verschimmelt vorfinden, wenn wir im Oktober zurück kehren werden.

Von Trinidad geht es dann zunächst nach Panama, unseren offiziellen Wohnsitz. Wir müssen dort den lokalen Führerschein beantragen und den Wohnsitz in den Pass eintragen lassen. Bei allem sehr hilfreich ist des captains Freund Lutz, der kürzlich aus Bochum mitsamt Familie nach Panama gezogen ist und sich bereits bestens auskennt. Wir freuen uns schon aufs Wiedersehen – und dann auch auf die Reise nach Zürich, die wir gerade für Mitte Juni fixiert haben.

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