Windkräfte & Golfstrom

Mit Ausnahme der holprigen, in Bezug auf die Windstärke aber zahmen Passage nach Nassau hatten wir die letzten Wochen meist gemütliches Segeln. Kaum Welle und oft komfortabler Wind. Ein Reff einziehen? Nicht nötig.

Das kann gefährlich werden – weil es zu Sorglosigkeit & Nachlässigkeit führt.

Die Überfahrt am Freitag von unserem Ankerplatz bei Hoffman´s, Fowl u. Saddleback Cay nach Great Harbour Cay hat mich wieder wachgerüttelt. Noch ehe wir uns versehen, bläst es plötzlich mit Spitzen von 40 Knoten (ab 40kn spricht man von Sturm, nicht mehr nur stürmischer Wind) – und wir haben das Großsegel noch voll, also ohne Reff, gesetzt.

Aber der Reihe nach.

Planungen für den Golfstrom

Am Donnerstag sind die VAIREA und die La BOHEME an unserem Ankerplatz eingetroffen. Schön, die beiden Crews wieder zu treffen. Auch etliche andere Boote treffen ein.  Lagen wir zuvor alleine, sind es jetzt 11 Schiffe.  Vermutlich zieht es alle gen NordWesten, um sich parat zu machen für den Sprung an die US Ostküste.

Zusammen mit Simone & Peter sowie Martina & Dani diskutieren wir die Wind- und Wettervorhersagen. Wir alle wollen idealerweise bis nach Beaufort in North Carolina gehen. Das Städtchen soll sehr schön sein, und Cape Hatteras liegt nicht mehr weit. In Beaufort würden wir dann in Ruhe auf ein Wetterfenster warten, um das etwas kritische Cape Hatteras nach Norfolk zu passieren. Norfolk liegt am Eingang der geschützten Chesapeake Bay. Auch der direkte Weg nach Norfolk wird diskutiert – der erfordert aber ein länger passendes Wetterfenster.

Warum Wetterfenster?

Entlang der US Ostküste strömt der Golfstrom. Nach Norden, mit meist 2-3kn, stellenweise auch bis zu 4kn. Ist man als Schiff im Golfstrom, hat man einen Beschleuniger, der kräftig mit nach Norden schiebt. Das wird unsere Reisedauer erheblich verkürzen.

So in etwa verläuft der Golfstrom. Bzw., um korrekt zu sein, eigentlich der Floridastrom. Erst ab dem Cape Hatteras nennt man ihn dann Golfstrom. Er mäandert etwas, d.h. seine genaue Lage variiert ebenso wie die Stromstärke.

Kein Nordwind!

Nur:

Wenn der Wind aus nördlichen Richtungen kommt – und sei es nur dass eine kleine Nordkomponente dabei ist – dann heisst das: Strom steht gegen Wind

Der nach Norden strömende Golfstrom trifft auf Wind, der aus Norden – und damit aus der entgegen gesetzten Richtung – kommt. Das ergibt auch bei geringen Windstärken steile und sehr unangenehme Wellen, weil an der Wasseroberfläche zwei entgegen gerichtete Kräfte aufeinander treffen. Dabei ist nicht so sehr die absolute Wellenhöhe ein Problem: Eine normale, langgezogene Atlantikwelle wirkt durch die Schaukelbewegung eher beruhigend. Bei Wind gegen Strom aber bauen sich Wellen mit kurzer Frequenz und grosser Steilheit auf, die wie eine Wand aus Wasser wirken wenn man dagegen fährt.

Das ist der derzeitige Wind entlang der US Ostküste: Er kommt aus Norden, steht also dem Golfstrom entgegen. Sowas können wir überhaupt nicht brauchen.

Das brauchen wir definitiv nicht. Was wir brauchen, ist ein schöner Wind aus Süden. Also Wind, der mit dem Golfstrom in dieselbe Richtung zieht. Über mehrere Tage, dann konnte sich das Wasser beruhigen. Dann haben wir nur noch mit den Gewittern zu kämpfen – das wird aufregend genug.

Die Wassertemperatur im Golfstrom – der manchmal auch als die „Heizung Nordeuropas“ bezeichnet wird – ist deutlich höher als das umgebende Wasser. Als Folge häufen sich  über dem Golfstrom die Quellwolken. Über Florida bilden sich ab ca. Mitte Mai und im Juni zunehmend auch noch Gewitter, die dann gerne entlang des Golfstroms ziehen.

Für die kommenden Tage….

…. ist aber erstmal stärkerer Ostwind vorhergesagt. Davor sollten wir an unserem jetzigen Ankerplatz ausreichend genug geschützt sein. Aber: Bei höheren Wellen dürfte es sehr schwer werden, überhaupt noch hinaus zu kommen auf die offene See. Weil dann vermutlich heftige Brecher in die Einfahrt stehen.

Es regnet immer mal wieder, aber ohne dass wirklich WInd aufkommt. Nur diverse Wasserhosen ziehen die Aufmerksamkeit aller auf sich.
Unser Ankerplatz ist wegen der vorgelagerten Riffe und Inseln auch gegen Osten gut geschützt. Aber bei kräftigeren Ostwinden wird es schwierig, gegen die dann anrauschenden Wellenbrecher hinaus aufs offene Meer zu kommen.

Deswegen wollen Vairea, La Boheme und wir weiter nach Nordwesten gehen, hinter die Insel Great Harbour Cay. Nach Bullocks Harbour, einer Siedlung, die auch ein paar Lebensmittel-Läden und einfache Bars bzw. Restaurants hat. Dort liegen wir gut geschützt vor Wellen aus allen Richtungen. Bis auf Westen – aber Westwind ist keiner vorhergesagt.

Von unserem aktuellen Ankerplatz sind es nur etwa 11 nm zum neuen Ankerplatz bei Great Harbour Cay. Luftlinie. Die können wir aber nicht gehen. Das Wasser dazwischen ist unglaublich klar und türkis aber nicht tief genug. Der riesige Flecken gelben Sands fällt stellenweise bei Ebbe sogar trocken. Wir müssen aussen rum, hinaus aufs offene Meer und dann auch noch oben um die Stirrup-Inseln rum, und wieder zurück nach Osten. Aus 11 nm Luftlinie werden fast 30.

Die VAIREA geht am Freitag zuerst Anker auf. Gefolgt von der LA BOHEME. Wir warten noch den Durchzug eines Regenschauers ab, damit die capitania beim Ankeraufholen nicht nassgeregnet wird.  Gehen eine gute halbe Stunde danach. Angesichts der flachen See und wenig Wind setzen wir noch am Ankerplatz das Groß und erwarten ein gemütliches Segeln, u.U. sogar noch unter Zuhilfenahme eines Motors.

Ich hätte mich nicht mehr täuschen können. Kaum gehen wir raus auf die offene See, kommt Regen. Der war abzusehen, und normalerweise geht mit Regen immer auch eine kräftige Zunahme der Windstärke und drehende Windrichtungen einher. Ich aber rechnete einfach nur –mit Regen. Und nicht mit mehr. Warum? Genau so war es all die Tage zuvor auch: Der Wind nahm vielleicht ein paar Knoten zu. Und ansonsten kam vom Himmel halt einfach nur etwas Süßwasser.

Jetzt ist alles anders. Oder auch nicht, denn eigentlich ist das ja normal: Mit dem Regen nimmt der Wind zu. Doch hier gings wirklich schnell. Von 5kn auf 10kn – Ok. Aber dann ziemlich schlagartig haben wir 30kn und ein paar Augenblicke später stehen bis zu 40kn auf der Windanzeige. Und dazu rundherum, wie aus dem Nichts, Blitz & Donner.  Ich gebe mit beiden Motoren Schub, Drehzahl hoch auf 2.000 rpm, und drehe INVIA in den Wind. Etwa 2kn Fahrt machen wir dann noch. Und lasse ruckzuck das Segel fallen. Das letzte Viertel klemmt, ich renne nach vorne an den Mast, ziehe es von Hand nach unten und sichere das Großfall.

Alles gut.

Mit beiden Motoren wieder auf Normaldrehzahl geht’s etwa 15 Minuten weiter. Immer wieder sehen wir Blitze, aber so langsam haben wir zwischen Blitz und Donner etwas Abstand. Nur Sekundenbruchteile zunächst, aber der zeitliche Abstand wächst: Wir entfernen uns langsam vom inneren Kern des  Gewitters. Es kübelt weiterhin, aber die Windspitzen gehen nicht mehr über 35kn, bald sind es nur noch 30. Das Gröbste ist hinter uns, und irgendwann kann man auch wieder mehr sehen als nur grau in grau. Als der Spuk vorbei ist, bleiben wir trotzdem erstmal unter Motor. Ein wenig erholen. Soweit das in der nun aufkommenden kabbeligen kurzen Welle möglich ist. INVIA bockt und stampft. Dabei ist die Wellenhöhe wirklich gering – wir sind schon durch ein Vielfaches davon, auch von der Seite kommend, gesegelt. Aber der Abstand der Wellen, die Frequenz, und deren Steilheit, sind wirklich unangenehm. Mitnichten gefährlich, davon sind wir weit entfernt, aber einfach nur ekelhaft. Die capitania steckt es erstaunlich gut weg. Ich hingegen werde tatsächlich etwas seekrank. Was selten passiert. Irgendwann haben wir uns genug erholt und wir setzen wieder das Groß, machen den Motor aus. Unter Segeln wird die Lage sofort komfortabler.

Rundung der Stirrup Cays

Am nördlichen Ende unserer heutigen Route runden wir die Stirrup Cays.

Great Stirrup Cay gehört der Norwegian Cruise Line, einem großen Kreuzfahrtschiff-Unternehmen. Das Unternehmen hat die Insel für ihre Kreuzfahrt-Kunden ausgebaut.

Little Stirrup Cay wurde von der Royal Carrebean Cruise Lines, einem anderen Kreuzfahrtschiffunternehmen, langjährig  geleast und in Coco Cay umbenannt. Das Unternehmen hat rund 250 Mio in die Insel investiert und u.a. einen großen Vergnügungspark, ein Aquarium und ein großes Terminal, an dem 2 Kreuzfahrtschiffe anlegen können, gebaut.

Nordamerikas längste Wasserrutsche auf Little Stirrup Cay (Coco Cay)

Weiter draussen parken zahlreiche Kreuzfahrtschiffe, die wegen der Covid-19 Beschränkungen noch immer nicht fahren dürfen. Auf dem AIS zähle ich  weitere 8 Schiffe:

Anker fällt

Unser Anker fällt in der Nähe der VAIREA und der LA BOHEME. Entgegen den Seekarten und diversen Berichten im Internet empfinde ich den Ankergrund als sehr gut haltend. Es ist überall Sandboden, auf dem zwar viel Seegras wächst. Aber unser Anker dringt sehr gut hindurch und gräbt sich fest ein. Der angekündigte Starkwind aus Osten kann kommen!

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