Die 6. Nacht

brachte gegen Ende einige Probleme mit sich, die es zu lösen galt. Normalerweise beginnt ein Morgen damit, erstmal diverse Leichen einer Seebestattung zuzuführen: Nachts landen im Schnitt zwischen 4 und 8 fliegende Fische auf der INVIA. Die meisten verenden auf dem Vorschiff im Trampolin. Ich fand aber schon welche im Salon zwischen den Sitzkissen, in der Mulde in der die Gangway lagert, im Beiboot, zwischen den aufgeschossenen Schoten etc. Der Ablauf heute morgen war etwas anders.
Aber zunächst der Reihe nach: Oliver bekommt via unserem Iridium — Zugang die Nachricht von seiner Familie, dass er das Schweizer Bürgerrecht erhalten hat, er somit den Schweizer Pass bekommt. Das muß natürlich gefeiert werden und so wird das strikte Alkoholverbot vorzeitig ausser Kraft gesetzt. Ein Glas Rotwein für jeden ist drin. Und vorzeitig deshalb, weil am nächsten Tag (also heute!) schon wieder dem Alkohol gefrönt werden wird: Dann nämlich ist Bergfest, dann haben wir die Hälfte der Distanz zwischen Brava und Barbados zurück gelegt. 1030 nm in jede Richtung! Gesegelt, im Kielwasser, sind wir schon mehr: Da wir nicht den direkten Weg gegangen, sondern am 2. Tag nach Süden ausgewichen sind. Um bessere Windbedingungen einzufangen.
Kurz nach Beginn meiner Nachtwache um 04:00 morgens gibt es ein Alarm am Bordstrompanel. Die Mastervol Charger/Inverter Combi-Einheit meldet einen Systemfehler. Ich begebe mich mit Stirnlampe auf Ursachensuche, entferne Sitzkissen usw. lege Elektrik und Verkabelung frei, prüfe und messe Sicherungen etc. Beruhigt stelle ich schnell fest, dass der komplette 12V Stromkreis in Takt ist und ordnungsgemäß arbeitet. Die Solarzellen sollten bei Tagesanbruch beginnen, wieder Strom in die Batterien zu pumpen. Und die 12V Lichtmaschinen der beiden Volvo Penta liefern auch. Tatsächlich haben wir ohne laufenden Generator nur keine 220V an Bord, und kann der Generator die Batterien nicht laden: Der liefert 220V Sinusspannung — und eben die kann die MasterVolt Einheit nicht mehr verdauen. Kein Grund für einen Notstand. Ich informiere die Crew, daß wir ab sofort auf den Stromverbrauch achten müssen. Gefrierschrank, elektrischer Autopilot & Kühlschrank sind die größten Stromvebraucher, an die müssen wir ran. Und deshalb den Gefrierschrank vom Netz nehmen. Die capitania ist verständlicherweise nicht so begeistert, befinden sich doch wahre Schätze von tiefgefrorenem Gemüse darin. Wir haben aber noch das Gefrierfach des Kühlschranks — dorthin wird Wertvolles umgelagert. Der Rest sollte auch noch etliche Tage halten, es wird sicher nicht gleich alles verderben zumal der Gefrierschrank für rund 24h die Ware gefroren halten sollte (so der nicht geöffnet wird). Den Kühlschrank lassen wir in Betrieb, den Autopiloten entlasten wir tagsüber mit verstärkter manueller Steuerung. Das wird, weil der ganze Luxus auf der INVIA doch recht energiehungrig ist, vermutlich nicht ausreichen. Wir werden nicht umhin kommen, immer mal wieder einen der 2 Motoren leer mitlaufen zu lassen. Bei weitem nicht so effizient wie der Generator — aber wir haben genug Diesel an Bord. Und die allermeisten anderen Segelschiffe müssen mit einem Bruchteil dessen aus kommen, was alleine die Solarzellen der INVIA bereit stellen.

Erst am späten vormittag komme ich dazu, die oben erwähnten Seebestattungen durchzuführen, danach schütteln wir das 1. Reff aus dem Groß. Kaum ist das geschehen, fällt das Vorsegel zu einem Drittel herunter: das Fockfall hatte sich gelöst. Ursache war ein Schäkel zwischen Fall und oberem Drehlager, der hatte sich wohl gelöst oder war gebrochen, wie sich später heraus stellte. Sebastian und ich bergen umgehend die flatternde Fock, und dann diskutieren wir das weitere Vorgehen. Wir müssen das Ende des Fockfalls nach unten bekommen. In den Mast zu klettern ist bei dem Seegang keine tolle Option, aber was tun? Oliver hat die Idee, ein Stück Draht an einem der Spifallen zu befestigen, dieses hochzuziehen und dann zu versuchen, es so hinzubekommen dass es sich am Endes des Fockfalls verhakt, damit wir es zusammen nach unten bekommen. Statt eines Drahtes nehmen wir den stabilen „Enterhaken“, der an Bord ist um bspw. schwere geangelte Fische an Bord zu hieven. Ums kur z zu machen: Es war mühsam, es gab bei Sebastian eine leichte Verletzung an der Hand, bei mir nur etwas Genickstarre vom konzentrierten „Nach oben blicken“. Wir waren drauf und dran, aufzugeben als sich doch noch der Haken an der richtigen Stelle in etwa 20m Höhe verhakte!! Schlussendlich hatten wir tatsächlich wieder das Vorsegel an Ort und Stelle. Was für eine Aktion!

Die Crew beim Bergen des losgerissenen Vorsegels

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